Unsichtbare Gefahr aus Alltagsprodukten: Hormonaktive Substanzen

29.07.2024 - Hormonaktive Substanzen, auch bekannt als endokrine Disruptoren (ED), finden sich überall – von Plastik und Kosmetika über Nahrung und Trinkwasser bis hin zu Alltagsgegenständen und Spielzeug. Sie stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit dar und können die Entwicklung und Gesundheit von Ungeborenen beeinträchtigen. Daher fordert die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) die betreffenden Substanzen aus dem Verkehr zu ziehen.

Frau, die Ihren Körper eincremt
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Auf einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz der DGE und der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) erläutert Professor Dr. rer. nat. Josef Köhrle, Experte der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), die Hintergründe. Die Plastikproduktion habe sich in den letzten 70 Jahren 200-fach erhöht. Diese Plastikwelle sei nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch eine erhebliche Gesundheitsgefahr. „Hormonaktive Substanzen, die in Mikroplastik, Kosmetika und vielen anderen Produkten enthalten sind, können hormonelle Prozesse im Körper erheblich stören“, erklärt Professor Köhrle, So ließe sich beispielsweise beobachten, dass Jugendliche früher in die Pubertät kommen. Auch Übergewicht, Diabetes und Entwicklungsstörungen würden bei Kindern zunehmen.

Von den rund 100.000 weltweit verwendeten Chemikalien sind etwa 50 als endokrine Disruptoren klassifiziert und gehören damit zur gleichen Gefahrenklasse wie krebserregende Substanzen, warnt der Biochemiker und Hormonexperte Köhrle.

Besonders besorgniserregend sei die Belastung während der Schwangerschaft. Per- und polyfluorierte Verbindungen sowie langlebige organische Chemikalien fänden sich in hohen Konzentrationen im Fruchtwasser und in der Follikelflüssigkeit der Eierstöcke. „Ungeborene Kinder baden förmlich in einem Mix aus Schadstoffen“, so Köhrle. Diese Substanzen könnten die Entwicklung des Fötus schwer beeinträchtigen, insbesondere die Gehirnentwicklung. Kinder von Müttern mit hoher ED-Belastung hätten ein dreifach höheres Risiko für einen verzögerten Spracherwerb.

Auswirkungen auf die Schilddrüse und Autoimmunerkrankungen

Endokrine Disruptoren, wie die für die Plastikproduktion verwendeten Bisphenole (BPA) und Phthalate, die Weichmacher für Plastikprodukte, können das Schilddrüsenhormonsystem verändern, was zu ernsthaften Entwicklungsproblemen führen kann. „Eine ausreichende Versorgung mit dem für die Schilddrüsenhormonbildung lebenswichtigen Spurenelement Jod ist bereits ein globales Problem, und die zusätzliche Belastung durch EDs verschärft die Situation erheblich, weil sie die Synthese, den Transport und die Schilddrüsenhormonwirkung beeinträchtigen können“, erklärt Köhrle. Zudem können diese Chemikalien das Risiko für Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto und sogar Schilddrüsentumoren erhöhen.

Was man für seine Hormongesundheit tun kann

Köhrle weist darauf hin, dass wir auch individuell unseren Konsum hinsichtlich bestimmter Gefahrstoffe überprüfen können und sollen. Etwa die Hälfte der aktuellen ED-Belastung könne auf individuelles Konsumverhalten zurückgeführt werden. Jeder Mensch könne durch bewusste Produktentscheidungen seinen Beitrag leisten. Er verwies auf die ToxFox-App des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND), mit der Schadstoffe in Alltagsprodukten identifiziert werden können.

Doch um die unfreiwillige Exposition zu senken, müssten Produktion und Vertrieb von identifizierten ED strikt reguliert und gestoppt werden. Die DGE fordert deshalb ein sofortiges Handeln. Die Belastung mit endokrinen Disruptoren müsse reduziert werden. Es seien strengere Regulierungen und ein Verbot der Herstellung und Nutzung dieser gefährlichen Chemikalien notwendig, betont Köhrle. Wichtig sei auch, neue chemische Substanzen auf ihre Unbedenklichkeit zu prüfen, bevor sie in großem Maßstab produziert und in Umlauf gebracht würden. Insbesondere sei es nicht sinnvoll, bekannte endokrine Disruptoren durch verwandte, aber noch wenig untersuchte Verbindungen zu ersetzen.

Literatur

Reincke M, Arlt W, Damdimopoulou P, Köhrle J, Bertherat J. Endocrine disrupting chemicals are a threat to hormone health: a commentary on behalf of the ESE. Nat Rev Endocrinol. 2024 Apr;20(4): 187-188. doi: 10.1038/s41574-024-00958-0.